Das Wasser schwindet

04. April 2035

Heute hatte ich einen seltsamen Traum. Ich weiß, du bist ein Tage- und kein Traumbuch, aber dieser Tage schreibt mensch vielleicht besser über Träume als über die Realität. Nur dass dieser Traum auch nicht viel besser war. Ich war allein mit Kiara und Jonah auf einem Boot, mitten auf dem offenen Meer. Es war ein ziemlich großes Boot, mit einem Solardach und kleinen Windrädern auf der Seite. Mit dem Strom konnten wir einen kleinen Umwandler betreiben und das Meerwasser in Trinkwasser verwandeln, außerdem hatten wir kleine Gärten in denen lauter Gemüse und Soja wuchs. Wir haben gekuschelt und uns Geschichten erzählt, die Kinder spielten fangen und uns hat nichts gefehlt. Doch dann fragt mich Kiara, aus heiterem Himmel, wo das Wasser hin ist? Ich habe gar nichts bemerkt & frag sie was sie meint, doch dann beginnt das Wasser einfach zu verschwinden, Stück sinkt das Boot in die Tiefe und plötzlich rasen wir auf einen steinharten Wüstenboden zu, wir fallen geradezu. Um uns herum lodern Flammen, und Kiara und Jonah schreien und ich kann nichts tun außer sie festzuhalten. Und kurz vor dem Aufprall wache ich auf. Schweißgebadet. Wobei das nichts besonderes ist bei den Temperaturen…früher konnten wir noch die Klimaanlage anmachen, doch die wurden ja alle konfisziert. Verständlicherweise. Doch da war schon alles verloren. Noch früher konnte mensch auch ohne Klimaanlage gut schlafen, zumindest im Frühling. Damals war April noch Frühling, nicht Sommer wie heute…oder anders formuliert: Damals gab es noch einen Frühling. Ich weiß noch, als ich so alt war wie Kiara lag in Nürnberg im Winter Schnee. Also hin & wieder zumindest. Wir wussten zumindest noch, was Schnee ist. Jonah hat noch nie Schnee gesehen…Und es gab noch diesen Übergang von Winter zu Sommer. Heute bedeutet Winter ein paar graue Monate bei 15°C, in denen es wenigstens hin & wieder regnet. Und dann, spätestens Ende März, knallt er Sommer rein, gnadenlos, und wir müssen Wasser rationieren, Energie sparen und Kinder dürfen nicht mehr aus dem Haus…oder alte Menschen. Wie es Mum letztes Jahr einfach umgehauen hat, und sie ist nicht mehr aufgestanden. Hitzeschlag, mit 56. Ich will gar nicht dran denken…tja, und übermorgen zieht Lea zu uns. Meine stolze große Schwester, die nie ihre Wohnung mit Uferblick verlassen wollte. Zum Glück hat sie mit Vicky eine vernünftige Frau an ihrer Seite, die ihr klarmachen konnte, dass es einen Unterschied zwischen Stolz und Sturheit gibt. Und dass der vielleicht erreicht ist, wenn die Wohnung keine Aussicht mehr auf die Elbe bietet, sondern nur noch auf den Müll am Meeresboden.

 

08. April 2035

Nun leben wir also zu fünft unter diesem Dach…genug Platz haben wir ja, das ist nicht das Problem. Lea ist leider wirklich schwer aufzumuntern, aber ich merke, dass sie sich Mühe gibt sich einzuleben & ihrem Hamburg nicht all zu sehr nachzutrauern. Lea & Jonah freuen sich wie Bolle ihre beiden Tanten da zu haben. Mir ist noch nie aufgefallen, wie gut Vicky eigentlich mit Kindern kann…vllt hat sie auch dazugelernt in den letzten Jahren. Immerhin wollten die Beiden ein eigenes Kind austragen, aber das wurde mit dem neuen Gesetz letztes Jahr natürlich zunichte gemacht. Die Bevölkerung auf der Erde dürfe auf keinen Fall wachsen. In Deutschland wird uns Heteros noch nicht vorgeschrieben, wie viele Kinder wir bekommen dürfen, anders als in vielen anderen Ländern. Wahrscheinlich dank unserer fragwürdigen Demographie. Doch Menschen, die nicht auf “natürliche” Art Kinder gebären können bekommen die Restriktionen selbstredend als Erste ab. Naja…so kann Vicky immerhin auf meine Kids aufpassen, mich entlastet das ja auch, wenn ich ehrlich bin. Gerdade jetzt, da Kai sich mal wieder in einem anderen Teil der Welt herumtreibt, wo es überdies deutlich angenehmer ist. Wobei er selbst wenn er da ist keine große Hilfe ist, weder mit den Kindern noch im Haushalt. Da hab ich lieber Lea & Vicky hier, wenn so drüber nachdenk…

12. April 2035

Prima, um halb 7 steht die Polizei im Haus! Damit sie die Kinder noch antreffen, vor der Schule. Wegener, der Drecksack, hat meine Kleinen angeschwärzt. Die sollen das Gambiamücken-Nest drüben Ecke Reutersbrunner angezündet haben, er will sie dabei beobachtet haben. Und ja es stimmt ja auch, nach dem Schreck haben Kiara & Jonah mir gebeichtet, dass sie das Nest angezündet haben weil sie den Mücken die Schuld an Loomys Tod geben. Klar ist das nicht richtig, aber ich kann sie schon verstehen. Und kann der alte Sack nicht erstmal zu mir kommen damit und das unter Erwachsenen klären? Nein, der ruft gleich die Cops, und die behandeln 10-Jährige wie Verbrecher! Und mich freilich auch: Warum wir im Jahre 35 noch ein Feuerzeug im Haus hätten, und dann auch noch eines ohne biometrische Kindersicherung. Woher soll ich das wissen, das da noch Kais altes Zippo im Schuppen rumliegt? Und überhaupt Kai: Während ich mich um die Kinder kümmer, wir allein den Umzug meiner Schwester stemmen, unser Kater stirbt & kurz darauf die Cops reinmarschieren, macht sich der Herr ein schönes Leben auf Island! Entspannt mit seinen Siemens-Schnöseln an einer CO2-Filteranlage in den isländischen Bergen arbeiten, für’s gute Gewissen. Was hat ihn bitteschön die Umwelt gejuckt, als wir den Planeten vielleicht noch hätten retten können? Scheißegal war ihm das, damals haben sie mit Siemens daran mitgewirkt, noch die letzten fossilen Ressourcen aus der Erde zu quetschen. Und sich damit eine goldene Nase verdient. Mein Gott, was haben wir uns gefetzt damals, als er nach dem Studium bei Siemens begonnen hat. Von wegen “man kann mit einem Ingineursstudium auch ethisch korrekt Geld verdienen”. Aber Geld hat er verdient, und das haben wir gebraucht, nachdem wir Kiara bekommen haben. Insbesondere nachdem meine Stelle als Ethik- & Geschichtslehrerin gekündigt worden war. Die Menschen interessieren sich schon nicht für Geschichte, wenn sie dadurch aus alten Fehlern lernen könnten. Wenn es eh nichts mehr zu gewinnen gibt & die öffentlichen Kassen für Nahrungsmittelsubventionen gebraucht werden, leistet sich kein staat mehr den Luxus, Historiker*innen zu beschäftigen. Und nun versuchen Leute wie Kai als Heilsbringer aufzutreten, Leute, die angeblich an einer lebenswerten Zukunft arbeiten. Die zuvor daran gearbeitet haben, die Zukunft immer schlimmer zu gestalten, für ein paar lumpige Kröten. Kröten, die es in Nürnberg mittlerweile genauso wenig gibt wie Schnee. Weißt du was? Kai kann vor mir aus in Island bleiben. Morgen rede ich mal mit Lea & Vicky – die verdienen doch gut als Biochemiker*innen-Päarchen bei Saitech. Die beiden arbeiten dort an wassersparenden Nahrungsmittelkonzepten, sowas kann die Welt brauchen, die so verzweifelt auf eine Zukunft hofft. Und sie arbeiten aus Überzeugung daran, nicht aus Eitelkeit und Gier wie mein Noch-Mann an seinem “grünen” Projekt. Und mir als Sanitäterin wird  zumindest auch nicht so bald die Arbeit ausgehen, lol. Wenn wir zusammen eine WG aufmachen brauch ich keinen Kai mehr. Und Lea & Vicky hätten doch noch Kinder, wenn auch nicht ihre eigenen.

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