Inmitten der Ödnis

Heute zum ersten Mal seit Wochen wieder unten am Wiesengrund gewesen, ganz früh im Morgengrauen, wie damals, als da noch die Amseln waren und der Tau auf den Wiesen und der Nebel. Dieser köstliche Nebel, der sich immer auf allem abgesetzt hat, der einem bis in die Nebenhöhlen gekrochen ist und an die Haarwurzeln. Jetzt ist da eine Steppe in Beige, die toten Halme knirschen nicht einmal mehr, wenn sie brechen, sie vergehen einem einfach unter den Sohlen und verwehen im Wind. Die Augen tränen, so staubig ist die Luft und die Pegnitz stinkt wie das Klärwerk am Muggenhof. Sie wandert als dünnes Rinnsal durch das zu breit gewordene Flussbett, immerhin fließt da überhaupt noch etwas Wasser, man muss ja dankbar sein dafür. Daneben liegen Rewe-Einkaufswagen und rostige Fahrradleichen, ein einzelner Schuh ist da, zwei Schaufeln und eine Sandburg mit abgetragenen Zinnen. Vermutlich spielen hier Kinder in der Abenddämmerung Strandurlaub. Oder aussterben.

Ich habe es nicht gewagt, nach dem Biberbau zu sehen, hinter dem alten Sportplatz. Stelle mir vor, wie sie abgewandert sind, zu Fuß Richtung Fürth und dann immer weiter. Flüchtende ohne Hoffnung auf ein rettendes Ziel. Hoffe dennoch, dass sie geflohen sind und kann nicht aufhören daran zu denken, wie ich vor einer halben Ewigkeit jedes Reel liken wollte, auf dem Biber irgendwelches Futter herumgetragen haben. Wie tatenlos wir schon damals waren, wie phlegmatisch, wie sehr wir die Niedlichkeiten dieser Welt in uns aufgesogen haben, konserviert, wenn man so will, im Wissen darum, dass die leichten Zeiten ihr Ende gefunden haben.

Ich hatte ja heimlich gehofft, dass es uns so ergehen würde wie den Nachkriegsgenerationen vor uns, dass die Apokalypse ausbleiben und sich stattdessen ein Wandel vollziehen würde. Die Ängste meiner Eltern waren letztendendes auch nicht wahr geworden (Waldsterben, saurer Regen, dritter Weltkrieg). Das mit den Kipppunkten habe ich damals nicht begriffen und auch nicht die Zeitspanne, um die es ging, die uns in ihrer Weite in die Veränderungen hineinwachsen ließ – oder hineingleiten – wie in die Falle einer fleischfressenden Pflanze. Zumindest weiß ich nun, was Timothy Morton mit dem Begriff „Hyperobject“ meinte.

Schätze, ich werde jetzt bald nachtaktiv, wie diese kleinen Wüstentiere, die sich am Morgen im Sand vergraben und erst am Abend wieder ins Leben zurückfinden. Immerhin lebe ich schon im Sandstein, arbeite im Sandstein, bestelle mir das Essen ins Haus und bemitleide die Kurierfahrer, die noch immer mit den E-Bikes herumfahren, während kaum sonst jemand auf den Straßen unterwegs ist. Da haben wir endlich kostenlosen ÖPNV und keiner will ihn nutzen. Wer kann arbeitet im Home-Office und zahlt selbst für seine Abkühlung, während sich die großen Unternehmen mal wieder in die gierigen Fäustchen lachen.

In den Supermärkten gibt es noch beinahe alles, nur frisches Obst und Gemüse nicht, und Getränke sind auch knapp. Trotzdem wird nicht mehr gehamstert und vielleicht ist das der Beweis für unsere kollektive Resignation.

Dass ich jetzt wieder ein Tagebuch schreibe, amüsiert mich irgendwie. Wenn man solche Dinge aufschreibt, die großen Dinge, die Katastrophen, meint man wohl immer, man würde ein Zeitdokument verfassen. Dass irgendwelche Nachfahren das Notierte eines Tages lesen werden und denken, wie gut es ist, dass diese Zeiten vorbei sind. Aber es scheint, als würde sich doch nicht jede Geschichte wiederholen und irgendwann ist ja auch niemand mehr da, um von einer Auslöschung zu erzählen.

Aber solange das Internet weiterhin funktioniert, wissen wir zumindest, wie gut es uns noch geht. Rationiertes Wasser ist immer noch besser als keines und ich bin dankbar, nicht weiter südlich leben zu müssen.

Ich wollte so gern etwas tun, als ich dort unten stand (inmitten der Ödnis), also habe ich ein paar Samen in meine Hosentaschen gesteckt, von allem ein bisschen was, und die verdorrten Balkonkästen hereingeholt. Denke, ich lege mir einen kleinen Garten an, direkt neben dem Bett, und hoffe, dass mir etwas Zuversicht wächst.

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